Brief zum Sonntag

Sommer 2023


Liebe Gemeinde!

Die Bibel ist ja so ein Buch, in dem es schon hauptsächlich um ernsthafte Dinge geht.
Allerdings beleuchtet sie die menschlichen Dinge von so vielen Seiten, dass es dann halt schon auch Vieles gibt, über das man lachen kann – auch wenn das Lachen einem halt dann doch gelegentlich im Halse stecken bleibt.
Es gibt einige Geschichten, die sind wirklich so ungewöhnlich, dass sie nur mit einer Portion Humor gelesen werden können – das hilft auf jeden Fall weiter.
Trotzdem haben sie eine tiefe Botschaft.
Zu diesen Geschichten gehört in meinen Augen auf jeden Fall die Geschichte von Jona.
Diese kunstvoll gestaltete Novelle durchzieht ein tiefgründiger Humor. Die meisten von Ihnen kennen wahrscheinlich die Grundgeschichte – ich fasse sie nur mal kurz zusammen:

Die Erzählung spielt im 8. Vorchristlichen Jahrhundert. Damals beherrscht das Volk der Assyrer den Raum des Mittleren und Nahen Ostens und somit auch das kleine Israel. Die Assyrer haben keinen guten Ruf, ihre Hauptstadt Ninive auf dem Gebiet des heutigen Irak gilt als sittlich verdorben. Irgendwann reicht es Gott. Er beauftragt den jüdischen Propheten Jona, der Stadt das Gericht anzukündigen. Aber Jona denkt gar nicht daran, Gottes Befehl zu folgen. Sich allein mitten in die Höhle des Löwen wagen, noch dazu mit einer solchen Botschaft? Nie und nimmer, denkt Jona, macht sich auf einem Schiff davon und ladet nach einem heftigen Unwetter im Bauch eines Wales. Drei Tage später spuckt ihn der Wal wieder aus.
Jona erkennt nun, dass er dem Auftrag Gottes gehorchen muss. Er marschiert nach Ninive und predigt den nahen Untergang. Und das Erstaunliche geschieht. Die Leute von Ninive lachen ihn nicht aus, sie werfen den Störenfried nicht in den Kerker, sondern hüllen sich in Sack und Asche und fasten.
Als Gott das sieht, hat er ein Einsehen und verschont die Stadt.

Soweit die bekannte Geschichte.
Die Geschichte von Jona ist an uns alle gerichtet, denn als glaubende Menschen haben wir letztlich alle den gleichen Auftrag: die Liebe Gottes, die wir erfahren und von der wir uns getragen fühlen, auch weiterzugeben.
Das kann ja nun ganz unterschiedlich aussehen. Eine Strafpredigt in Ninive muss nicht unbedingt dazugehören.

Was aber nun ganz spannend ist: die Geschichte von Jona hört nicht da auf, wo ich jetzt die Erzählung beendet habe. Diese Geschichte geht weiter und diese Fortsetzung ist der eigentliche Predigttext für heute.
Das aber verdross Jona sehr, und er ward zornig  und betete zum Herrn und sprach: Ach, HERR, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. 3 So nimm nun, HERR, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben. 4 Aber der HERR sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? 5 Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. 6 Gott der HERR aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus. 7 Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus, dass er verdorrte. 8 Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben. 9 Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod. 10 Und der HERR sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, 11 und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere? Jona, Kapitel 4, die Verse 1 – 11

Jona ist sauer, weil Gott schon wieder so nachgiebig war! Und jetzt sagt er auch noch, dass er genau deswegen geflohen ist, weil er schon wusste, wie das ganze enden wird! 
Jona fühlt sich im Recht. Die bösen Assyrer hätten ihren Untergang doch mehr als verdient!
Und dann kommt Gott auch noch mit so komischen Spielchen an und lässt Rizinusstauden erst wachsen und dann verdorren…
Und wie reagiert Gott?
Gott versucht, Jona zu erklären. Er versucht ihm zu erklären, dass es doch klar ist, dass es Gott seine eigenen Geschöpfe nicht vernichten will – vor allem, wenn sie versuchen, einen anderen Weg einzuschlagen.
Ja – im Recht fühlen. Das kennen wir, denke ich, alle. 
Es gibt Streit, Konflikte, und ich fühle mich im Recht. Ich bin vielleicht auch mal im Recht – und trotzdem gibt es eine andere Seite, die die Dinge anders sieht.
Und wenn ich alles an mir abprallen lasse, was versucht, die Sache auch von einer anderen Seite zu beleuchten, dann setze ich mich halt auch immer mehr ins Unrecht.
Es gibt immer so viele verschiedene Seiten zu einer Situation oder zu einer Sachlage.
Die Kunst ist, schon einen Weg für mich zu finden und diesen auch zu gehen versuchen. Und trotzdem immer ein bisschen mit einrechnen, dass man die Situation oder die Sachlage auch von einer anderen Seite sehen kann.
Ich spüre das immer wieder in Diskussionen um „die Kirche“. 
Was ist denn überhaupt „die Kirche“ ? Die Kirche ist so vielschichtig wie die Menschen. 
Und in dieser Kirche gibt es viele verschiedene Wege. 

Das Besondere an unserem christlichen Glauben ist: er ist offen für diese verschiedenen Wege. Jesus hat uns das vorgelebt, indem er denen nahe war, denen niemand nahe war. Indem er keinen Unterscheid gemacht hat zwischen den Menschen, die ihm begegneten.

Wenn wir also an Jona zurückdenken und unseren Auftrag, den wir in der Welt haben: 
Bleiben wir nicht im Bauch des Walfisches.
Wir können da raus und uns der Vielschichtigkeit der Welt stellen, die uns umgibt.
Wir können all dem mit freundlicher und entwaffnender Offenheit begegnen – es klappt vielleicht nicht immer. Es klappt aber sicher öfter, als wenn wir uns verkämpfen und trotzig unter dem verdorrten Rizinus sitzen belieben. 

Gott ist bei uns – Gott gibt uns die Leichtigkeit, unser Leben zu leben. 
Geben wir dies weiter!

Amen

Ich wünsche Ihnen von Herzen Gottes Segen!
Ihre Pfarrerin Irene Geiger-Schaller